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Warnung vor dem Nachrichten-Tsunami: Was bei der News-Flut wirklich hilft

Warnung vor dem Nachrichten-Tsunami: Was bei der News-Flut wirklich hilft

Der Nachrichten-Tsunami: Zu viel Medienkonsum kann chronischen Stress auslösen. Woran liegt das? Und was kann man dagegen tun? Wir erklären die Hintergründe.

Um das Potenzial für einen Tsunami bestimmen zu können, braucht es in der Regel Warnzentren – die Sensoren im Ozean, die seismische Aktivitäten, Wasserdruck und Gezeitenmessungen überwachen. Wenn ein Ereignis erkannt wird, das einen Tsunami auslösen könnte, werden diese Warnzentren sofort aktiv und benachrichtigen die betroffenen Regionen. Was aber geschieht, wenn wir von einem Tsunami ganz anderer Prägung bedroht werden – dem Nachrichten-Tsunami? Gibt es hier Warnzentren, die uns davor schützen, oder sind wir der Flut von Nachrichten, die uns täglich überrollen, schutzlos ausgesetzt?

Leider ist letzteres der Fall, und wir müssen täglich erleben, wie schwierig es ist, in dieser Nachrichtenflut auch noch Fake News zu erkennen und sie auszusortieren.

Krisen lösen einen Reiz- und Alarmzustand aus, der zu Stress führen kann

Vor einiger Zeit berichtete die Süddeutsche Zeitung in ihrem Beitrag „Exzessiver Nachrichtenkonsum belastet die Gesundheit“ von einer amerikanischen Studie im Fachmagazin Health Communication, bei der Forschende einen „problematischen Nachrichtenkonsum“ in der Bevölkerung verorteten. Zu den Schlüsselergebnissen gehörte, dass Menschen eher auf schlechte Nachrichten klickten. Dabei erschien ihnen die Welt „wie ein dunkler und gefährlicher Ort“.

Krisen, politische Konflikte, der Ukraine-Krieg, Umweltthemen wie der Klimawandel und vieles mehr lösen bei nicht wenigen Menschen einen zum Teil gesundheitsgefährdenden Reiz- und Alarmzustand aus, der unter anderem zu chronischem Stress und den dadurch ausgelösten Folgen führen kann.

Das hilft bei der Nachrichtenflut

Die Autoren der Studie empfehlen, Nachrichten nicht ganz abzuschalten und sich nicht gänzlich davon abzuschotten, sondern einen gesunden und kontrollierten Umgang damit zu finden. Dabei hilft die Strategie, sich auf eine übersichtliche Anzahl an Nachrichten pro Tag zu beschränken oder die Zeit beispielsweise auf maximal eine halbe Stunde sehen, hören, lesen über den Tag verteilt zu begrenzen.

Zudem richten sie einen Appell an die Medienbranche: Journalisten sollten sich nicht nur auf sogenannte aufmerksamkeitsgenerierende Geschichten konzentrieren. Beispielsweise setzt der Geschäftsführer von WeltN24, Frank Hoffmann, bei den Nachrichten darauf, „mit Vertiefung und Einordnung zu punkten“, dabei jedoch auf sogenannte Feel-good-Themen nicht zu verzichten.

Wie aber ist der Nachrichtenmarkt in Deutschland strukturiert? Ein vielfältiger und pluralistischer Nachrichtenmarkt ist schließlich ein unverzichtbarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft. Nachrichtenagenturen sind dabei von großer Bedeutung für eine unabhängige und neutral berichtende Medienlandschaft. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Nachrichten und Informationen und tragen dazu bei, dass wir auf dem neuesten Stand bleiben und ein umfassendes Bild von aktuellen Ereignissen erhalten. Ihre Aufgabe besteht darin, News zu sammeln, zu verifizieren und erst danach zu verbreiten. Sie sind Katalysatoren, die Nachrichten und Informationen von verschiedenen Quellen sammeln und dann an Medienunternehmen und andere Organisationen weitergeben, die diese Informationen verwenden, um Nachrichten noch einmal zu filtern, einzuordnen und zu verbreiten.

Quellen von Nachrichten kritisch hinterfragen

Nachrichtensendungen im Fernsehen waren lange das wichtigste Medium, und sie waren oft auf festgelegte Sendezeiten in der Primetime – und im Radio jede volle Stunde – beschränkt, was bedeutete, dass wir linear nur zu bestimmten Zeiten Nachrichten rezipieren konnten. Das war gestern.

Mit der Entwicklung von Internetportalen und sozialen Medien können wir nun jederzeit auf Nachrichten zugreifen und sind rund um die Uhr einer wahren Flut von Informationen ausgesetzt. Darüber hinaus haben viele Fernsehsender ihre Programme erweitert, um ohne zeitliche Verzögerung Nachrichten anzubieten, was eine der Ursachen für den Nachrichten-Tsunami ist, der täglich 24 Stunden lang über uns hereinbricht.

Für die sogenannten Distributoren von Nachrichten besteht die Herausforderung darin, eine ausgewogene und vertrauenswürdige Berichterstattung zu finden und zu konsumieren, die uns die Informationen gibt, die wir brauchen, ohne uns zu überfordern oder uns von anderen wichtigen Aspekten unseres Lebens abzulenken.

Keine Frage, auch Fernsehnachrichten sind Teil des Nachrichten-Tsunamis, aber nicht die einzige Quelle von Informationen, die uns betreffen. Möchte man einem Nachrichten-Tsunami entfliehen, sollten verschiedene Nachrichtenquellen genutzt und diese kritisch hinterfragt werden, um sich ein umfassendes Bild von aktuellen Ereignissen zu machen und sich auf dem Laufenden zu halten.

Man darf konzedieren, dass die Versorgung mit aktuellen Nachrichtenangeboten in Deutschland hervorragend ist und die meisten Menschen Zugang zu mindestens einer dieser ausgezeichneten Nachrichtenquellen haben und somit gut informiert sind. Jedoch wird nicht immer darauf geachtet, dass die Nachrichtenquelle, für die sich Nutzer entschieden haben, auch von den Nachrichtenanbietern beeinflusst wird. Vor allem sollten die Nutzer sich bewusst sein, wie wichtig es ist, verschiedene – vertrauliche und verlässliche – Quellen heranzuziehen, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten.

Zu den meistgenutzten Medien-Informationsquellen der Bevölkerung in Deutschland zählt inzwischen das Internet mit 77 Prozent, gefolgt vom Fernsehen mit 49,2 Prozent und der Tageszeitung mit 34,9 Prozent auf Platz drei. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass das einst „schnellste Medium“, das Radio, mit 25,6 Prozent inzwischen auf dem vierten Platz rangiert.

Eine der international renommiertesten Studien zum Nachrichtenkonsum auch in Deutschland, „Reuters Digital News Report 2023“, konstatiert, dass sich viele Menschen von der Nachrichtenflut förmlich erschöpft fühlen. Der Report verweist darauf, dass das Geschäft mit Nachrichten ein äußerst kostenintensives ist. Das Nachrichtengeschäft erfordert in der Regel erhebliche Investitionen in Technologie, Ausrüstung, Personal und Nachrichtenquellen, um eine hohe Qualität der Berichterstattung sicherzustellen. Journalisten müssen oft an entfernte und nicht selten gefährliche Orte reisen, um Informationen aus erster Hand zu erhalten. Dabei entstehen in der Regel hohe Kosten für die Beschaffung von Bildern, Videos und anderem Material.

Hohe Kosten für Entwicklung und Wartung von Websites, Apps und Streaming

Hinzu kommt eine kostspielige Distribution von Nachrichten. In der Vergangenheit mussten Verlage viel Geld für Druck und Versand von Zeitungen und Zeitschriften aufbringen. Inzwischen sind die Kosten für digitale Verbreitungskanäle wie Onlineplattformen und soziale Medien zwar gesunken, doch es fallen immer noch erhebliche Kosten für die Entwicklung und Wartung von Websites und Apps sowie für das Streaming der Nachrichten an.

Die Finanzierung von reinen Nachrichtenunternehmen bzw. -redaktionen ist oft eine zusätzliche Herausforderung, insbesondere in einer Zeit, in der traditionelle Werbemodelle rückläufig und alternative digitale Geschäftsmodelle noch in der Entwicklung sind. Viele Nachrichtenunternehmen suchen daher nach neuen Einnahmequellen und Geschäftsmodellen, um ihre Arbeit fortzuführen.

Nachdem der damalige P7S1-Vorstandsvorsitzende Thomas Ebeling wiederholt betont hatte, ProSiebenSat.1 sei kein Nachrichtensender, er sehe seinen Fokus auf Unterhaltung, überraschte der Sender – möglicherweise unter Druck der Medienpolitik – im vorletzten Jahr mit der Nachricht, eine senderübergreifende zentrale Nachrichtenredaktion installieren zu wollen. Diese ist mit dem 1. Januar 2023 mit rund 60 Mitarbeitern an den Start gegangen und stellt alle Newsformate in einem zentralen Newsroom in Unterföhring für alle Sender der TV-Familie in Eigenregie her.

Das Nachsehen hatte der News-Provider WeltN24, der einst ProSiebenSat.1 gehörte und viele Jahre die Nachrichten für die Sender der P7S1-Gruppe zugeliefert bzw. produziert hat. WeltN24-Geschäftsführer Frank Hoffmann, der unter anderem das Fernsehangebot der Sender Welt, Bild und N24-Doku verantwortet und werktäglich das Frühstücksfernsehen für Sat.1 produziert, liefert nun seit Januar dieses Jahres mit „Guten Abend Deutschland“ und den „Servus Nachrichten Deutschland“ zwei wichtige Informations- und Nachrichtenformate für den Vorabend bei Servus-TV Deutschland.

Ein gewaltiger Aufwand für Nachrichtenproduktion

Der Kölner Sender RTL produziert bereits seit vielen Jahren mit „RTL Aktuell“ das erfolgreichste Newsformat im privaten Fernsehen, das gerade in jungen Zielgruppensegmenten den etablierten Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen immer wieder wertvolle Marktanteile abnimmt. Möglicherweise diente ProSiebenSat.1 in Unterföhring RTL als Blaupause. Dessen Tochtergesellschaft RTL News GmbH produziert seit Jahren die Nachrichten aller Sender der Familie zentral in Köln, darüber hinaus zahlreiche Magazinformate der Senderfamilie.

Nichtsdestotrotz bleibt das Nachrichtengeschäft in Deutschland für alle beteiligten privaten Medien ein gewaltiger Aufwand, bei dem keiner der privaten Nachrichtensender bis heute schwarze Zahlen erwirtschaftet. Es ist daher nicht verwunderlich, dass man sich mit aussagekräftigen Geschäftszahlen zurückhält. Jede Katastrophe bindet gewaltige, nicht kalkulierbare Produktionsmittel, auch wenn die Zuschauerzahlen aufgrund des gestiegenen Informationsbedürfnisses temporär ansteigen. Über allem schweben der „Public Value“ und der Medienstaatsvertrag, der auch privaten Programmveranstaltern eine Informationspflicht auferlegt.

Aufschlussreich sind aktuelle Zahlen unterschiedlicher Umfrage-Institute, die zusammengenommen ein interessantes Bild vom Nachrichtenmarkt in Deutschland ergeben. Im Ranking der Nachrichtenquellen in Deutschland, denen die Bürger 2022 am stärksten vertrauten, liegt die ARD-„Tagesschau“ mit einer Zustimmung von 67 Prozent einen Prozentpunkt vor dem Zweitplatzierten, der ZDF-Nachrichtensendung „heute“ mit 66 Prozent. Unter den Privaten rangiert die RTL-Gruppe Deutschland gleich zweimal auf einem vorderen Platz. Der Nachrichtenkanal ntv erreicht eine Zustimmungsquote von 59 Prozent. „RTL Aktuell“, die tägliche Hauptnachrichtensendung im RTL-Programm, erreicht eine Vertrauensquote von 46 Prozent.

Bei den von der IVW ermittelten Visits der Nachrichtenportale in Deutschland belegt das Onlineportal von Bild-Zeitung und Bild TV, bild.de, mit 497,5 Millionen Visits im März 2023 den ersten Platz vor dem Content-Angebot von t-online (413 Millionen Visits) und Ippen Media (318 Millionen Visits). Bild steht allerdings exemplarisch dafür, wie weit die Schere zwischen Quantität und Qualität auseinanderdriftet. Im Vertrauensranking der Nachrichtenquellen trägt bild.de unter den Top 15 mit 21 Prozent auf dem letzten Platz die rote Laterne.

„Was löst diese Nachricht in mir aus?“

Keine Frage: Trotz Warnungen vor einem Nachrichten-Tsunami ist und bleibt ein vielfältiger und pluralistischer Nachrichtenmarkt ein wichtiger Bestandteil unserer demokratischen Gesellschaft. Nachrichten(-sender) sind dabei für eine unabhängige und neutral berichtende Medienlandschaft äußerst wichtig. Sie halten die Bevölkerung gut informiert und dienen der Meinungsbildung.

Die Versorgung mit aktuellen Nachrichtenangeboten in Deutschland ist mehr als gut. Das tägliche Geschäft mit Nachrichten erfordert allerdings einen sorgfältigen Umgang mit den vielfältigen Angeboten, insbesondere mit der unübersichtlichen Vielfalt auf den Social-Media-Plattformen.

Damit die Welt nicht zu einem „dunklen und gefährlichen Ort“ wird, sollten wir uns immer wieder die zentralen Fragen stellen: Wie vertrauenswürdig ist meine Nachrichtenquelle? Wer steht dahinter? Und mit welcher Zielsetzung? Als weitere Orientierungshilfe kann es nützlich sein, vor allem nach Konfrontation mit einer negativen Nachrichtenlage, sich konkret zu fragen: Was löst diese Nachricht in mir aus?

Zum Autor:

Prof. Dr. Conrad Heberling, geb. in Brantford/Ontario, Canada, war dreizehn Jahre Director Corporate Communications und Investor Relations beim europäischen Chiphersteller ams OSRAM AG, weltweit führend in der Entwicklung und Herstellung von digitalen Hochleistungs-Sensorlösungen. Neben Berufsstationen als Marketing- und Kommunikations-Direktor bei RTL2 lehrt Heberling seit 2012 als Professor für Marketing und Marktforschung an der Filmuniversität „Konrad Wolf“ in Babelsberg und seit 2017 am Erich Pommer Institut in Potsdam für den Digitalen MBA/LL.M.. Darüber hinaus lehrt er „Digital Marketing and Communications Management“ an der SRH Berlin University of Applied Sciences Berlin School of Popular Arts.

An der Akademie für Neue Medien unterrichtet er u. a. das Seminar „Business English“.